08. November | 18 Uhr | Rote Flora:
Im Rahmen der Veranstaltungsreihe »Bullenwagen klauen und Adorno rezitieren? Zum Verhältnis von Theorie und Praxis«.
Seit 2007, als sich das Signalwort »Krise« zum beständigen Hintergrundrauschen des Feuilletons und des Stammtischs zu etablieren begann, wurde auch in der Linken viel zum Thema diskutiert und analysiert. Der Kapitalismus hat sich verhoben, weshalb die EU im Interesse der Stabilisierung der ökonomischen Geschäftsgrundlage eine technokratische Austeritätspolitik umsetzte, die zu einer massiven Verarmung Südeuropas führte und mit dem Abbau demokratischer Standards einherging. Das kann zumindest unter Linken als Binsenweisheit gelten. Doch was folgt aus der Krise?
Ein transnationaler Aufstand der Entrechteten, der die Überwindung des Kapitalismus wieder realistisch werden lässt, sagen die einen. Die Gefahr regressiver Krisenlösung, sagen die anderen. Recht haben wohl beide Seiten, irgendwie.
»Keine Atempause, Geschichte wird gemacht« (Modern Talking)
Einerseits hat es seit 2007 vor allem in Südeuropa einen Aufschwung sozialer Kämpfe gegeben. Generalstreiks, Hausbesetzungen, kollektiver Widerstand gegen Zwangsräumungen, Ansätze von Selbstorganisierung und Selbstverwaltung, vor allem in der Reproduktionssphäre. Die »soziale Frage« scheint hier tatsächlich zumindest punktuell eine Antwort zu finden, die auf der Notwendigkeit der Überwindung von Staat und Kapital beharrt – und in der Alltagspraxis mit neoliberalen Handlungsrationalitäten bricht.
»Heute dreschen sie noch Stammtischparolen,
doch morgen haben sie Sprengstoff und scharfe Pistolen« (Antilopen Gang)
Andererseits feiern zunehmend in ganz Europa rechtspopulistische oder gar faschistische Parteien seit Jahren Wahlerfolge. Dieser Rechtsruck an den Urnen wird von reaktionären Mobilisierungen unterschiedlicher Coleur auf den Strassen begleitet – man denke etwa an die Schlägerbanden der »Goldenen Morgenröte« in Griechenland oder die Demonstrationen gegen die Homo-Ehe in Frankreich mit hunderttausenden Teilnehmer*innen. In Deutschland, wo laut Karl Liebknecht der Hauptfeind seine Meldeadresse hat, kommt es in den letzten Monaten zu verstärktem Protest von »besorgten Bürger*innen«, die ihre »berechtigten Ängste« (FAZ) mitunter mit Gewalt gegen die Bewohner*innen von Asylunterkünften artikulieren. Gleichzeitig ist die »Alternative für Deutschland« im Begriff, sich dauerhaft zu etablieren – und mit ihrer Hetze gegen u.a. Feminismus, Homosexuelle, Migrant*innen und Sozialschwache das Glaubensbekenntnis der Stammtischstrateg*innen und rechten Eliten wieder mehrheitsfähig zu machen.
»Und auf jeden 1. Mai, als ich Steine auf die Schweine warf,
kam ein 2. Mai, geil, Kindergeld vom Schweinestaat« (Grim104)
Wie hat eine linke Praxis im Jahr 2014 (und auch danach) auszusehen? Bei dieser Frage herrscht allgemeine Ratlosigkeit. Einige der großen Antifagruppen der 2000er Jahre reagieren auf die veränderte Wetterlage mit politischen Umstrukturierungsmaßnahmen und schließen sich strömungsübergreifend in bundesweiten Bündnissen zusammen. Handelt es sich dabei um eine Phase des Aufbruchs, die zukünftig bessere Ausgangsbedingungen für linke Theorie und Praxis bereitstellt? Oder werden hier nur die Reste zusammengefegt? Angesichts von Protestevents wie Blockupy sind viele Konfliktlinien in der deutschen Linken aufgebrochen, die seitdem leidenschaftlich diskutiert werden. In der Regel beschränken sich diese Diskussionen jedoch darauf, dass unterschiedliche Fraktionen und Strömungen in ihrer Marginalisierung ihr eigenes Süppchen kochen und die eigene Position zur Abgrenzung gegen andere Positionen in Stellung bringen – ohne dass ernsthaftes Interesse zu verzeichnen ist, miteinander ins Gespräch zu kommen. Dabei geht es bei diesen Debatten um viel mehr als um die banale Frage, ob man jetzt zu Blockupy mobilisieren sollte. Was zur Diskussion steht, ist das grundlegende Verständnis von Theorie und Praxis, bei dem Klärungsbedarf besteht.
»Könnte alles klar sein, wenn ich nur nicht so ratlos wäre« (Eins Zwo)
Eröffnet der Versuch, in breiten Bündnissen eine Öffentlichkeit für linke Krisenanalyse und emanzipatorische Handlungsmöglichkeiten zu schaffen, auch dem Ressentiment Tür und Tor? Müsste eine Linke also – statt ihre Positionen durch Kompromisse in Bündnissen zu verwässern – alles auf die Karte des »antifaschistischen Abwehrkampfes« setzen und die eigene Praxis darauf beschränken, das Schlimmste zu verhindern? Da an Gesellschaftsveränderung derzeit sowieso nicht zu denken ist?
Oder lassen sich Antifaschismus und Soziale Kämpfe sowieso nicht trennen? Und verhält es sich nicht vielmehr so, dass die bürgerliche Gesellschaft Ideologie in Permanenz produziert und es deshalb umso notwendiger ist, genau jetzt die Systemfrage zu stellen? Müsste deshalb dafür nicht endlich das linke Szeneghetto verlassen und daran gearbeitet werden, die Kritik an Staat, Nation und Kapital mit Breitenwirkung zu versehen – was dann eben auch bedeutet, mit jenen zusammenzuarbeiten und zu diskutieren, deren Gesellschaftskritik (noch?) nicht aufs Ganze geht?
Wir wissen es auch nicht, wollen aber mit euch darüber diskutieren. Auf dem Podium sitzen Peter Birke, Rüdiger Mats und JustIn Monday.